Wie reden wir über »Technologie und soziale Kontrolle«?

Das Grazer Anarchistenblatt Yegussa hat uns gefragt, ob wir einen Artikel zur Veranstaltungsreihe „Technologie und soziale Kontrolle“ schreiben wollen. Na gut, leider nur kurz:

Erstens historisch: Alle Großreiche hatten ihre Technologien und Techniken, die der sozialen Kontrolle gedient haben; meistens war es eine Religion gepaart mit Repression – außer bei den Mongolen, die hatten keine spezifische Religion, sondern setzten auf ihre Reiter und Beteiligung am Profit (das erklärt, warum es bis heute das größte aller Reiche war). Aber irgendwann sind die jeweiligen Techniken an ihre Grenzen gestoßen, kamen in Widerspruch mit der jeweiligen menschlichen Entwicklungsstufe und wurden umgestürzt. In den Kämpfen und Revolutionen entwickelten sich neue Formen sozialer Kontrolle – die wiederum neue Formen von Widerstand hervorgebracht haben.
Zweitens muss jede Technik einen Gebrauchswert für die Gesellschaft haben, sonst setzt sie sich nicht durch. Handys würden sich nicht verkaufen und Profit abwerfen, wenn sie nur zur Überwachung des Pöbels dienen würden. Arbeiter organisieren mit Handys Streiks – sogar in China. Spätestens seit 2011 wissen wir, dass Aufständische soziale Netzwerke nutzen und in den heißen Anfangsphasen der (ägyptische) Staat überfordert war. Er konnte den Umsturz nicht verhindern. In solchen Phasen stößt soziale Kontrolle an ihre Grenzen.
Dabei kommen wir zu drittens: wir müssen eine klare, radikale Kritik an der kapitalistischen Technik rausarbeiten. Raniero Panzieri war der erste nach Marx, der in seinem 1961er Text »Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus« die Kritik des Kapitals fulminant auf die Höhe der Zeit gebracht hat. Technik ist nicht neutral, sondern immer auch Entwicklung der Klassenherrschaft. Die Sozialdemokratie hat das vergessen und kettet die Arbeiterklasse an die Produktivitätsfortschritte des Kapitalismus. Ein hoher Lohn ist nicht nur schön, weil man seinen Lebensstandard steigern kann, sondern dient auch der sozialen Kontrolle. Es kann keine technologische Kontinuität nach der Revolution geben.

Viertens – Bewegungen von unten gegen die Technologie des Kapitals
Im November 2018 hat die Harvard Professorin Shoshana Zuboff einen 700-Seiten-Wälzer vorgelegt, der die aktuelle Phase als »Überwachungs-Kapitalismus« kritisiert. Die Tech-Konzerne verwerten unser Verhalten. Ihr Ziel sei totale Kontrolle. Das Ziel im Kapitalismus ist jedoch niemals »totale Kontrolle«, sondern die Herrschenden träumen vom Profitmachen ohne Arbeiter, jedenfalls ohne Lohnarbeiter, die durch ihre Funktion zur blockierenden Kraft werden können. Die größte Gefahr für »das System« und für die Apologeten einer Superpolizei-Welt sind jene, die diese Welt erschaffen sollen, z. B. Edward Snowden. Seitdem es von denjenigen geleaked wurde, die es im Inneren produzieren, kommt es immer wieder zu massivem Widerstand gegen die Tech-Konzerne. 2013/14 haben Anrainer in Kalifornien die Busse der Tech-Angestellten blockiert, weil die Expansion der IT-Konzerne die Lebenserhaltungskosten in die Höhe treiben. 2018 ist allen klar, dass diese IT-Konzerne nicht nur mit dem staatlichen Repressionsapparat zusammenarbeiten, sondern dass sie für soziale Verwüstungen sorgen: die Löhne und die Arbeit in den Amazon-Lagern führen seit Jahren zu Streiks und Blockaden. Ankündigungen wie von Google oder Amazon, dass sie in Berlin bzw. in New York neue Niederlassungen hochziehen wollen und dafür auch noch Subventionen abgreifen bei gleichzeitiger Steuerflucht, treibt die Leute wütend auf die Straße. Dabei haben die meisten ein Smartphone eingesteckt, und zucken es, damit Leute überall auf der Welt die Stimmung auf den Demos mitbekommen – und sich anschließen.

Das ist die Situation, von der wir ausgehen müssen, wenn wir über »Technologie und soziale Kontrolle« reden wollen: Wie verhält sich die Klasse innerhalb der vorgefundenen Bedingungen? Wo steuern wir auf Brüche zu? Wie können wir dabei helfen, diese Brüche breiter und tiefer zu machen?