Magna Steyr: Schichtarbeit für Arbeitslosengeld

oder in Worten des Magna-Managements: »der Job mit der besten Serienausstattung«

Magna Steyr ist ein österreichischer Automobilzulieferer; der Produktionsstandort in Graz ist der einzige, an dem komplette Fahrzeuge produziert werden. Magna Steyr gehört zum Konzern Magna International. Dessen Nettogewinn im ersten Quartal 2017 beläuft sich auf 597 Millionen Euro bei einem Umsatz von 8,61 Mrd. Nachdem der Großauftrag für die Mini-Produktion im Jahr 2016 endete, wurden Leiharbeiter entlassen, Festangestellte in andere Abteilungen oder in eine vom Staat subventionierte »Arbeitstiftung« zur Umqualifizierung geschoben. Die Produktionshallen wurden umgebaut und erweitert, um sich auf neue Aufträge vorzubereiten. Seit Anfang 2017 startet schrittweise die Massenproduktion von sechs neuen Modellen (5er-BMW, 4er-BMW Cabrio, Toyota Supra, zwei Jaguar Land Rover Modelle inkl. einem E-Auto; und eine neue Version der Mercedes Benz G-Klasse).

Dafür werden Arbeiter benötigt. 3000 sollen neu eingestellt werden – davon rund 1500 Arbeitslose. So arbeiten am Standort in Graz rund 10 000 Menschen. Laut Bericht einer Lokalzeitung waren Ende April 2017 bereits 700 Stellen besetzt, die alle durch das AMS (Arbeitsmarktservice) vermittelt wurden – für das Arbeitsamt der größte Vermittlungsauftrag österreichweit und in der Geschichte des AMS. (Als Arbeitslose werden aber auch jene Arbeiter gezählt, die eigentlich einen Job hatten, diesen hinschmissen um dann über das AMS bei Magna zu landen.)

Ich bin einer dieser Arbeitslosen. Nachdem ich im Dezember 2016 bei einer der unzähligen »Roadshows« von AMS und Magna Steyr war (einer Art Vorstellung und Abfeiern des Unternehmens) und mich für jede mögliche Abteilung (Karosseriebau, Lackierung, Montage, Qualität, Logistik) beworben hatte, erhielt ich Mitte Januar 2017 eine Einladung zu einem »Job-Day«. Dafür haben die Unternehmer extra eine aufgelassene Discounter-Filiale angemietet und sie propagandistisch als »Recruiting Center« in Szene gesetzt. An diesem »Jobtag« wurde ein Großteil der bürokratischen Dinge erledigt: Bild für den Ausweis machen, Schuhe und Arbeitskleidung probieren, Bewerbungsgespräch, Besichtigung des Arbeitsplatzes mit Shuttle-Bus, Deutschtests. Dann hieß es abwarten, denn eine Zusage hatte man nicht in der Tasche. Diese erhielt ich erst eineinhalb Monate später – gerade noch vor Ablauf meines Arbeitslosengeldbezugs. Hätte ich den Anspruch verloren, wäre ich mit einem niedrigeren Bezug in diese »Implacement-Stiftung« gekommen.

Staatlich subventionierte Ausbeutung

In Österreich haben sich Werkverträge in der Industrie wie in Deutschland bis jetzt nicht durchgesetzt. Die sogenannte »Regionale Implacementstiftung Automotive Styria« kommt dem aber recht nah. Diese wurde im Juli 2015 gegründet und läuft bis Ende 2019; für die Umsetzung wurden 9,2 Millionen Euro veranschlagt und max. 1530 Personen sollen daran teilnehmen können. Beteiligt sind Magna Steyr, Magna Heavy Stamping, AVL und Saubermacher. Die Kapitalisten bezahlen 3,7 Millionen, das Land Steiermark und das AMS jeweils 2,75 Millionen Euro. Das AMS hat die Gesamtkosten mit 15,58 Millionen Euro veranschlagt, da die Teilnehmer in der Zeit auch Arbeitslosengeld – sogenanntes »Schulungsarbeitslosengeld« – beziehen werden. Dem Stiftungsrat, also dem Entscheidungsgremium, gehören Leute von Magna Steyr, dem AMS, der steiermärkischen Landesregierung und der österreichischen Metallarbeiter-Gewerkschaft PRO-GE an. Offiziell ist das für Arbeitslose wie ein Kurs – die Kapitalisten erhalten hingegen eine fast kostenlose Arbeitskraft.

Ich bin zur Ausbildung als »Zusatzkraft« bei Magna Steyr in die Stiftung eingetreten. Meine Ausbildungszeit ist kürzer und ich kann auch keine Lehrabschlussprüfung machen. Nach Übernahme soll ich den Lohn eines »Helfers« bekommen – knapp 2000 Euro brutto. Insgesamt dauert die Ausbildung drei Monate: ein theoretisches Einstiegsmodul, das vier Wochen dauert, danach acht Wochen Praktikum. Die Ausbildungskosten pro Person betragen laut Stiftungsträger 2500 Euro. Während der Zeit in der Stiftung erhält man Schulungsarbeitslosengeld in der Höhe des Arbeitslosengeldes. Eine Kollegin bekommt rund 650 Euro, da sie vorher nicht Vollzeit gearbeitet hatte. Bei den anderen Leuten bewegt sich die Höhe des Betrags zwischen 800 und 1100 Euro. Für die theoretische Ausbildung mussten wir 140 Kilometer pro Tag in eine Berufsschule fahren. Vom AMS erhielten wir dafür einen »Fahrtkostenzuschuss« in Höhe von 1,57 Euro pro Tag.

Der Inhalt des theoretischen Einstiegsmoduls bestand aus Grundlagen zu Metall-, Beschichtungstechnik, Fahrwerk usw. – immer abhängig von dem Bereich, in dem man später arbeiten wird. Für mich persönlich war es ganz interessant und ich konnte mir neues Wissen aneignen. Für die Arbeit im Betrieb hat es nichts gebracht.

Die Rekrutierungsindustrie

Dieses Konstrukt bildet einen staatlich subventionierten Apparat an »Bullshit Jobs«, den man aus Sicht der Arbeiter nicht brauchen würde. Da gibt es z. B. eine Einrichtung für Erwachsenenbildung mit über 40 Vortragenden – oftmals Facharbeiter, die froh sind, der Werkstatt für ein paar Wochen zu entkommen; oder ein Institut, das die zahlreichen Deutschtests an den »Job-Days« durchführt. Und es braucht Leute, die sich um die Organisation der ganzen Arbeitsstiftungen kümmern. Anstatt den Arbeitern mehr bzw. den normalen Lohn zu bezahlen, investieren die Kapitalisten lieber in Disziplinierung. Arbeitslose müssen erst wieder »resozialisiert«, d. h. für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung, Teamwork sind nur ein paar Schlagworte. Es geht darum, die Bedingungen abzusenken: Hat man zwei Monate Schichtarbeit für Arbeitslosengeld hinter sich, freut man sich auf den normalen Lohn von ca. 1500 Euro netto – eine schöne Lohnerhöhung!

Die neue C-Klasse

Nachdem das theoretische Einstiegsmodul abgeschlossen war, begann das »Praktikum«. Am ersten Tag bekam ich eine Einschulung, am dritten Tag musste ich schon alleine arbeiten. Vom Vorarbeiter werde ich, wenn es ums Arbeiten geht, wie ein normaler Arbeiter behandelt. Brauche ich eine Auskunft – z. B. Stempelzeiten – ist er für mich nicht zuständig. Von meinen Rechten her bin ich weit weg von den Festangestellten und Leiharbeitern. Letztere bekommen in dieser Branche sogar einen 18-prozentigen Zuschlag zum kollektivvertraglichen Mindestlohn und dürfen gegenüber Festangestellten nicht benachteiligt werden.

Rechtlich bin ich in einem AMS-Kurs, d. h. ich habe aktuell keinen Arbeitsvertrag mit Magna Steyr. Trotzdem stehe ich täglich mit meinen festangestellten Kollegen am Band bei der Fertigung des neuen 5er-BMWs. In meiner Abteilung müssen wir während der gesamten Schicht über Kopf arbeiten. Wöchentlich werden Stückzahlen erhöht und Taktzeiten gesenkt. Mittlerweile produzieren wir über 300 Autos pro Tag. Die Arbeitszeit geht von 06.00 (05.00) bis 14.30 Uhr und von 14.30 bis 23.00 (24.00) Uhr; also Wechselschicht; ich bekomme aber keine Schichtzulagen und muss auch Überstunden machen. Auch Samstags musste ich schon rein, obwohl ich offiziell keine Überstunden machen darf.

Einige meiner Kollegen aus der Stiftung sind schon weg. Entweder hat sie Magna Steyr »entlassen« oder sie haben selbst aufgehört. Letzteres ist aber ein Problem, da es einer Arbeitsverweigerung gleich kommt und das AMS ein Verfahren nach § 10 ALVG (Arbeitslosenversicherungsgesetz) einleitet; Konsequenz: ein Anspruchsverlust auf Arbeitslosengeld zwischen sechs und acht Wochen.

Und wofür das Ganze?

Hat man sich durch die dreimonatige Stiftungszeit durchgekämpft – gezeigt, dass man ein braver Arbeiter, eine brave Arbeiterin ist – winkt einem ein auf sechs Monate befristeter Arbeitsvertrag; inklusive einem Probemonat. Danach wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt. Gegenüber diesen Bedingungen kann ein Leiharbeitsverhältnis als direkt attraktiv wirken.

Diese »Implacementstiftung« ist ein Angriff auf Arbeitslose und Arbeiter. Wir müssen Schichtarbeit für Arbeitslosengeld machen; selbst wenn wir wollten, könnten wir uns aufgrund unseres Status nicht an die Arbeiterkammer oder die Gewerkschaft wenden – das wär auch keine gute Idee: die Gewerkschaft ist selbst Teil dieser Maßnahme zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

Wir müssen es selbst in die Hand nehmen, wenn wir unsere Bedingungen verbessern wollen. Die anderen Arbeiter sollten uns dabei unterstützen – denn unter uns sind auch ehemalige Magna-Festangestellte.

11 Responses to Magna Steyr: Schichtarbeit für Arbeitslosengeld

  1. Vielen dank für den Bericht. Natürlich darf in einem Rahmen einer Schulung nicht für andere gearbeitet werden. Zu einem unbezahlten „Praktikum“ kann einen niemand zwingen, wir empfehlen daher Klage auf Anstellung beim Arbeits- und Sozialgericht!

    Im Prinzip ist das auch eine Form des Sozialversicherungsbetrugs, wenn sie Magna neben den Lohnkosten auch die Sozialversicherungskosten erspart, weshalb auch eine Anzeige bei der Krankenkassa bzw. der (Korruptions)Staatsanwaltschaft gemacht werden kann!

    Wichtig ist daher auch ein genaues Tagebuch zu führen über all die Arbeiten die man gemacht hat und was sonst so alles passiert.

    Wir bitte daher um alle Unterlagen zu dieser üblen Angelegenheit und Kontakte zu weiteren Betroffenen! Auch bei einer Implacement-Stiftung gelten die österreichischen Gesetze! Daher aufpassen, was mensch so unterschreibt, viele was einem vorgelegt wird ist rechtswidrig!

    Unser nächstes Treffen in Graz ist Morgen, Dienstag 27.7.2017 von 16:00 – 18:00 Uhr im Spektral, Lendkai 45, 8020 Graz

    Wie lautet ein alter Spruch: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

    Mag. Ing. Martin Mair
    Obmann „Aktive Arbeitslose Österreich“
    http://www.aktive-arbeitslose.at

  2. Birgit B. says:

    Danke für deinen sehr klaren und klärenden Bericht. Ich bin gelinde gesagt: erschüttert!!!

    • Ja, darum wäre es wichtig, sich endlich selbst zu organisieren und zu informieren. Dazu sind Abeitsloseninitiativen wie Aktive Arbeitslose da. Auf unserer alten Homepage http://www.arbeitslosennetz.org stehen eh fast alle Rechtsinfos (nur noch nicht für alle verschiedenen Fälle aufbereitet).

      Wer nicht bereit ist, bei einer Arbeitsloseninitiative mitzumachen ist selbst dafür mitverantwortlich, dass Staat und WIrtschaft uns allen immer mehr die MENSCHENRECHTE rauben!

      • mexico08 says:

        Danke für die Tipps. Im Prinzip ist diese Praxis nicht wirklich ganz neu, denn das AMS vermittelt schon seit Jahren Leute in Betriebe, die dort im Rahmen einer Maßnahme normal arbeiten und einen niedrigeren Lohn als im Kollektvertrag festgehalten bekommen und wo der Lohn zur Hälfte vom Staat bezahlt wird, sprich der Unternehmer subventioniert wird. Neu ist vielleicht, dass das nun auf dieser Stufenleiter passiert – unsere Erfahrungen bisher waren, dass dies eher bei Kleinbetrieben angewandt wurde, nicht bei solchen Multis wie Magna.

        Auf jeden Fall wollen wir erstmal probieren, mit den Arbeitern zusammen was zu machen, und zwar direkt am Arbeitsplatz. Auf juristischer Ebene kämpft eher jeder für sich und es ist eher das Terrain des Unternehmers – auf diesem können wir leider nie die Stärke entwickeln, die wir gemeinsam im Betrieb erreichen könnten, wenn wir uns unabhängig von den zahnlosen, konfliktfaulen Gewerkschaftern und Betriebsräten organisieren.

      • Achso, jeder ist im Neoliberalismus am Egotripp. Ach wie underbar, so wird sich nie was ändern in Krähwinkel. Wir haben zwar auch keine personellen Ressourcen, wären aber froh, wenn wir auch über diese Missstände informiert werden!

      • Schon Nestroy hat die „österreichische Seele“ so wunderbar beschrieben: Freiheit in Kräwinkel http://gutenberg.spiegel.de/buch/-5113/1

  3. blume says:

    Einige von uns sind freiwillig gegangen oder während der Schicht verschwunden. Einschulung dauerte keine 2 Stunden, danach war ich alleine und der MA war weg, seine Arbeitszeit war aus.
    Pausen gibt es fast keine und sonst muss man sich selbstständig durchfragen, der Schichtleiter war einfach nicht da!! Überstunden sind Täglich, wenn man geht braucht man gar nicht wiederkommen und das wie wir alle wissen für Arbeitslosengeld. Nach 2 Tagen wurden wir gefragt, ob wir Samstags arbeiten wollen??? Die Zustände sind einfach Menschenunwürdig, obwohl uns so vieles SCHMACKHAFT gemacht wurde……

    • Danke für den kurzen Bericht. Wie wäre es mit einer detaillierten und anonymen Sachverhaltsdarstellung an das Arbeitsinspektorat? Wir leiten so etwas gerne weiter um dem Nachdruck zu verleihen. Wer nicht bereit ist, sich zu organisieren, muss leider solche Verhältnisse in Kauf nehmen. Werde selbst aktiv, sonst geht es schief!

      • mexico08 says:

        Ich denke, man sollte hier nicht jeden Beitrag instrumentalisieren für seine eigene Organisation (in dem Fall „Aktive Arbeitslose“). Außerdem sehe ich zwei Widersprüche:
        1. Einerseits zum Arbeitsinspektor laufen, andererseits soll man sich selbst organisieren?
        2. Einerseits leitet ihr das gerne weiter, andererseits selbst aktiv werden?

        Drittens fehlt mir in den Postings des „Aktiven Arbeitslosen“ die kritische Distanz zur Justiz (siehe mein Posting vom 30.6.17; die zwei Antworten drauf verstehe ich übrigens nicht).

      • 1. Worin liegt die Instrumentalisierung, wir sind selbst eine Basisorganisation!
        2. Warum soll das Arbeitsinspektorat nicht in die Pflicht genommen werden? Manchmal tun die auch etwas. Sind ja auch Menschen wie wir, oder? Werden ja auch von uns bezahlt.tl Sowohl als auch – worin soll der Widerspruch sein?
        3. Also in unserem Bereich haben wir eher positive Erfahrungen mit den Bundesverwaltungsgerichten, wenn mensch sich gut darauf vorbereitet. Auch das Arbeits- und Sozialgericht bringt nicht selten etwas.
        4. Auch weiter leiten ist aktiv werden, auch wir sind nicht viele, weil unbezahlt tätig!
        5. Wichtig ist öffentlich machen, dafür steht unsere Homepage auch zur Verfügung, bzw. unser Newsletter und gegebenfalls auch Presseaussendung.
        Irgendwie gehen mir diese Unterstellungen im Sumpfland Österreich schon etwas auf den Nerv! Gerade in Graz fällt mir auf, wie wenig gerade die kleinen Gruppen zusammen arbeiten …

  4. Pingback: Magna Steyr: Schichtarbeit für Arbeitslosengeld | Anti-AMS Initiative

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